Die Patin
Gertrud HöhlerAgentin in eigener Sache: Die Schlafwandlerin erwacht
Donnerstag ist ihr Saunatag. Der 9. November 1989 ist ein Donnerstag. Angela Merkel hört im Fernsehen die flattrigen Sätze des neuen ZK-Sekretärs für Informationswesen der SED, Günter Schabowski, irgendetwas von offenen Grenzübergängen; aber es ist ihr Saunatag. Als sie nach der Sauna mit ihrem Kulturbeutel wieder auf die Straße tritt, ist die Grenze an der Bornholmer Straße offen. Mit ihrem Saunazeug treibt sie im Menschenstrom nach Westberlin. Irgendein Zimmer in Wedding, wo lebhaft und fröhlich diskutiert wurde, taucht in der Erinnerung auf. Sie bleibt nur kurz, schließlich muss sie morgen wieder arbeiten. Sie staunt über ihre Freunde, die ihren ‹Dritten Weg›, die Reform des Sozialismus, verschüttet sehen.
«Fließende Prozesse», so sagt sie noch 2012, muss man vor allem genau beobachten. Alles ist relativ. Überschwang trübt die Analyse. First things first, würde sie im Managementjargon sagen, wenn sie ein Mann wäre. Ihr Saunaprogramm am 9.November hat sie nicht zurückgeworfen. Sie wartet lange, ehe sie Traumziele festlegt – eine virtuose Tagträumerin mit einem ganz langen Atem.